Was passiert mit dem Everest?
"Gipfel zählen nicht", meint US-Bergsteiger Alan Arnette - zumindest nicht in diesem Jahr in Nepal. Denn ein gewaltiges Erdbeben erschütterte Ende April das Himalaya-Gebirge, riss mehr als 8900 Menschen in den Tod und machte Hunderttausende obdachlos. In dieser Katastrophe war die Lawine am Mount Everest, die durch das Beben ausgelöst wurde und mindestens 18 Menschen in den Tod riss, nur ein winziger Teil.
Dass danach keiner mehr auf den höchsten Berg der Welt steigen konnte, ging im Desaster unter. Dabei ist es das erste Mal seit 41 Jahren, dass eine Saison ohne Gipfelerfolg blieb. Und es ist schon das zweite Katastrophenjahr am Everest in Folge. Im vergangenen Jahr löste sich im Khumbu-Eisbruch ein gigantischer Eisbrocken und begrub zahlreiche Menschen unter sich. 16 Nepalesen starben.
Jetzt sei es an der Zeit, den Everest aus universelle heilige Stätte zu würdigen, fordert Jan Morris im britischen Magazin «New Statesman». Keiner solle den 8848 Meter hohen Berg mehr betreten und für seinen Ruhm oder Profit ausnutzen dürfen. Morris hatte schon 1953 über die erste erfolgreiche Everest-Expedition von Edmund Hillary und Tenzing Norgay berichtet. Auch der 2008 gestorbene Hillary mahnte vor Jahren: Gönnt dem Berg etwas Ruhe
Doch Bergsteiger Arnette, der in diesem Jahr selbst im Everest-Gebiet unterwegs war, sieht das anders: «Wenn keiner mehr auf den Gipfel des Everest steigen würde, würden sicherlich viele Träume zerplatzen, aber noch wichtiger ist, dass es den Lebensunterhalt von vielen Menschen beeinflussen würde.» Sherpas, Träger und Teehaus-Besitzer entlang der Wege leben von den Touristen. In den ländlichen Regionen des bitter armen Nepal gibt es sonst kaum Verdienstmöglichkeiten.
Derzeit ist es ruhig in der Khumbu-Region. Die Abenteuersportlerin Heather Geluk berichtet, dass Ende Mai in fünf Tagen nur fünf Besucher den Sagamartha Nationalpark betreten hätten, während dort sonst in der Hauptsaison im April und Mai Tausende ankämen. Geluk sah aber auch, wie der Wiederaufbau der Gästehäuser in vollem Gange war. Sie fordert die Bergliebhaber zur Rückkehr auf. Das meinen auch die Bergführer der deutschen Agentur Kobler&Partner: «Genau zum jetzigen Zeitpunkt benötigen die Menschen vor Ort Arbeit.»
Kaum jemand zweifelt ernsthaft daran, dass die Abenteurer zurückkommen. Allerdings verändere sich das Bergsteigen - und die Unglücke könne das noch beschleunigen, meint der Belgier Damien François, der während der tödlichen Lawine im Everest-Basislager war.
"Es kommen jetzt viele Malaysier und Indonesier. Die kennen den Berg nicht und setzen sich auch nicht damit auseinander", beklagt er. Sie säßen lieber mit einem iPod im Zelt als draußen beim Geschichtenerzählen.
Im kommenden Jahr, fordern die Bergsteiger, müsse die Regierung mehr Verantwortung übernehmen. Sie bekommt von jedem Everest-Touristen 11 000 US-Dollar - das sind insgesamt mehr als drei Millionen pro Jahr. Dennoch sei die Regierung unfähig, den Berg zu managen, meint Arnette. Alle Versprechungen wie bessere Wettervorhersagen, GPS-Systeme, Rettungsteams oder Beamte im Basislager seien nicht eingehalten worden.
Quelle: dpa