Bringen Eidechsen "Stuttgart 21" zum Scheitern?

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Bringen Eidechsen "Stuttgart 21" zum Scheitern?
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Unzählige Eidechsen haben sich am Abstellbahnhof Untertürkheim angesiedelt.

Das Bauprojekt der deutschen Bahn, Stuttgart 21, sorgt schon seit Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Nun könnten Mauereidechsen für massive Probleme sorgen.

Um die Tragweite des Streits über den geplanten Abstellbahnhof der Bahn im Stuttgarter Vorort Untertürkheim zu verstehen, muss man tief einsteigen in den Artenschutz. Man sollte sich auskennen mit dem Paarungsverhalten von Mauereidechsen und die langsam mahlenden Mühlen der Bürokratie nicht vergessen. Denn all das spielt eine Rolle bei der anstehenden Entscheidung über eines der wichtigsten Projekte beim Bau des Bahn-Megaprojekts Stuttgart 21.

Zeitplan des Projekts ist gefährdet

Läuft es besonders schlecht für die Bahn, wackelt nicht nur der Zeitplan des milliardenschweren Vorhabens. Es könnte auch die gesamte Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 (S21) in Frage stehen.

Alter Güterbahnhof als neuen Abstellbahnhof

Denn im neuen Stuttgarter Tiefbahnhof sollen die Züge künftig nur auf der Durchreise sein. Das spart Zeit und ermöglicht die sportliche Taktung auf den künftig nur acht Gleisen.

Zum zentralen Stück des Kreislaufs rund um den Tiefbahnhof wird nach den Plänen der Bahn die rund zehn Hektar große Fläche des alten Güterbahnhofs in Untertürkheim. Dort sollen die Nah- und Fernzüge verteilt, gedreht, gereinigt oder aufs zeitweise Abstellgleis gelenkt werden. Das neue Areal ersetzt den Abstellbahnhof am Rosensteinpark.

Keine sinnvolle Alternative zum Abstellbahnhof möglich

Dafür fehlt allein noch die Baugenehmigung. Und ohne das entscheidende Ringkonzept würden die Wege der Züge länger, die Fahrtzeiten auch, es müssten mehr Lokführer eingesetzt werden, die Kosten würden steigen.
"Ohne den Abstellbahnhof lässt sich Stuttgart 21 nicht wirtschaftlich betreiben", heißt es bei der Bahn. "Und es gibt keine sinnvolle Alternative dazu."

Proteste von Anwohnern

Doch es regt sich Protest: Die Anlage sei zu laut, erst recht nachts, klagen die Anwohner. Sie haben sich seit Jahren an die ungenutzten Gleise des Güterbahnhofs gewöhnt und fürchten den Bau und den Lärm danach.

Mauereidechse hat sich angesiedelt

Außerdem verstoßen die Pläne nach Ansicht von Umweltverbänden gegen den Artenschutz. Denn auf dem Gelände leben laut Bahn über 4000 der grob geschätzt mindestens etwa 140 000 erwachsenen und streng geschützten Mauereidechsen Stuttgarts.

Eigentlich keine Überraschung für die Bahn, denn diese Reptilienart kommt in den Projektgebieten für S21 fast überall vor. Warm, steinig, trocken, viele Verstecke - im überwucherten Schotter der Gleise fühlen sich die Tiere pudelwohl, das gilt vor allem für die stillgelegten Strecken in Untertürkheim.

Immerhin sind die in Stuttgart lebenden Echsen nicht so groß wie beispielsweise in Australien, wie dieses Video zeigt:

Riesige Echse in Australien frisst aus Katzennapf
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Besondere Art der Mauereidechse im alten Bahnhof

Der Knackpunkt: Mauereidechse ist nicht gleich Mauereidechse. Das ursprüngliche Vorkommen, das auf französische Exemplare zurückgeht, hat sich nach und nach mit aus Italien zugewanderten Tieren vermengt.

Genpool soll nicht über die Stadtgrenze hinausgehen

Diese sollen auf Güterzügen als blinde Passagiere ihren Weg über die Alpen gefunden haben, ein weiteres Gerücht sieht den Ursprung in ausgebüxtem Lebendfutter für die Wilhelma, dem nahen Tierpark. Die Stuttgarter Mischlinge sollen den Genpool über die Stadtgrenzen hinaus nicht verändern und die immer seltener werdende Zauneidechse nicht verdrängen.

Deshalb ist die Bahn nach einer Vorgabe des Regierungspräsidiums an die sogenannte Gebietskulisse gebunden, aber im eng besiedelten Stadtgebiet fehlt es an Flächen.

Naturschutzbehörden stellen harte Vorgaben

Die Vorgaben der Naturschutzbehörden für das Umsiedeln sind zudem hart: Die Fläche, von der Tiere abgesammelt wurden, muss genau so groß sein wie das neue Habitat. Auf diesem darf es keine Katzen geben und auch keine geschützten Konkurrenten, zudem muss die neue Fläche 30 Jahre lang beaufsichtigt werden.

Für Artenschutz wie diesen gibt die Bahn eine höhere zweistellige Millionensumme aus. Die Bahn schätzt die Kosten für eine umzusiedelnde Mauereidechse auf bis zu 3000 Euro pro Exemplar.

Bahn möchte Mauereidechsen mit Reptilienangel einsammeln

Deshalb schlägt sie vor, möglichst alle Exemplare mit Reptilienangeln einzusammeln und auf die alternative Fläche umzusiedeln - "unter Inkaufnahme eines unzureichenden Habitatflächenumfangs und einer erhöhten Verdichtung umzusiedeln, um eine Schädigung und Tötung im Baufeld zu vermeiden", wie es entsprechend in den Antragsunterlagen dazu heißt.

Überzeugt das Angebot nicht, könnte die Bahn auch nur einen Teil der Echsen auf ein gefundenes fünf Hektar großes Areal umsiedeln, der Rest würde in Untertürkheim mehr oder weniger seinem Schicksal überlassen.

Naturschützer reagieren empört auf den Vorschlag

Beide Varianten lehnen die Naturschützer empört ab. Der Naturschutzbund (Nabu) Deutschland schließt auch eine Klage ausdrücklich nicht aus. Die Vorschläge der Bahn zur Umsiedlung seien indiskutabel, sagt der Nabu-Fachbeauftragte für Infrastrukturprojekte, Hans-Peter Kleemann.

Beim Artenschutz habe die Bahn das Potenzial für Ausgleichsmaßnahmen nicht ausgeschöpft. "Sie ist zu schnell in die Ausnahmeregelung eingestiegen." Auch klinge die Zahl von 140 000 Exemplaren für den Raum Stuttgart vielleicht umfangreich. "Aber wir haben eine europäische Verantwortung und auf diesem Level sind auch 140 000 Tiere eine besondere Zahl."

Auch Tierschutzbund lehnt Vorschlag der Bahn ab

Der andere große Tierschutzverband, der Bund, bezeichnete die «Alles oder Nichts-Drohgebärde» der Bahn beim Umsiedeln der Eidechse als "völlig unangemessen". Ersatzlebensräume seien durchaus zu finden, es brauche aber "guten Willen". Sollte die Bahn auf ihrer Position beharren, könnte auch der Bund klagen.

Entscheidung sorgt für Zwickmühle

Die Entscheidung trifft das Eisenbahn-Bundesamt (Eba). Das Bonner Amt steckt in einer Zwickmühle: Hebelt es den Artenschutz aus, weil die beiden vorgeschlagenen Varianten diesem streng genommen widersprechen?

Oder bremst es die Bahn aus und riskiert eine weitere Verzögerung und Kostenexplosion bei Stuttgart 21? Aber selbst wenn die Behörde die Pläne der Bahn bis Ende des Jahres absegnet, sicher können sich die Stuttgart 21-Bauherren danach nicht fühlen, sie müssen mit Klagen rechnen und mit einem langen Verfahren.

Entscheidung soll vorab diskutiert werden

Vor der Entscheidung wollen Experten und Bevölkerung die Pläne bei einer öffentlichen Erörterung am 15. und 16. Januar (9.00 Uhr) besprechen. Laut Regierungspräsidium liegen 370 Einwendungen vor. Es ist bereits der vierte Anlauf der Bahn.

Andere Entwürfe waren unter anderem wegen der Finanzierungsfragen zu Stuttgart 21 zurückgezogen oder wegen der hohen Lärmbelastung fallengelassen worden, ein dritter scheiterte an der Umsiedlung der Mauereidechsen in einen Steillagenweinberg in Esslingen.

Verantwortliche stehen unter Zeitdruck

Dieses Mal wird es klappen, davon zeigt sich Florian Bitzer, der Verantwortliche für Umweltthemen der S21-Projektgesellschaft, überzeugt. Nicht nur werde die Güterverkehrsstrecke vom Wohngebiet ins Geländeinnere des ehemaligen Bahnhofsareals gerückt und der Lärmpegel der Güterzüge so gesenkt. Auch werde die Werkstatt der DB Regio nicht mehr benötigt.

Für rund 5500 vermutete Eidechsen sei das sogenannte Ersatzhabitat entlang der Bahntrasse ausgemacht worden. Er spürt den Zeitdruck: bis Ende 2021 sollten die Bauarbeiten eigentlich beginnen.

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