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Panorama

Umstrittenes Salz für die Straße

Mo 07.12.2015 | 16:01 Uhr - Redaktion

Wie ein dunkler Schlund, der Lastwagen verschluckt, sieht das Portal zum Clarastollen aus. Durch das eiserne Tor, verziert mit Bergmannshämmern, geht es - Glück auf! – einen Kilometer weit hinein in das älteste aktive Salzbergwerk Baden-Württembergs, einer von acht aktiven Salzstollen in Deutschland.

Die Scheinwerfer zerschneiden die Dunkelheit. Es ist kühl, die Luft trocken. Je weiter es hinab geht, desto mehr verliert sich das Gefühl für Ort und Zeit. 100 bis 150 Meter unter der Erde bei Haigerloch-Stetten auf der Schwäbischen Alb liegt ein riesiges Salzvorkommen, in dem seit bald 160 Jahren Steinsalz, Natriumchlorid, als Streusalz abgebaut wird - etwas gräulich, weil es nicht ganz so rein ist wie das Salz in der Küche.

Guter Winter bedeutet Nieselregen und Frost
Die milden Temperaturen zu Beginn dieses Winters machen den kaufmännischen Leiter des Salzbergwerks, Frank Joppen, nervös. "Wir sind auf einen guten Winter angewiesen", sagt er. Ein guter Winter, das bedeutet für ihn: tagsüber Nieselregen und nachts zwei bis drei Grad minus. "Wetter, das sonst keiner haben will." Dann müssen die Straßenmeistereien ihre Streufahrzeuge losschicken und neues Salz in Stetten ordern - und bei Joppen klingelt die Kasse.

Das Haigerlocher Salzbergwerk gehört dem Chemiekonzern Wacker mit Sitz in München. Die Firma baut pro Jahr knapp 570 000 Tonnen Salz ab - das entspricht mehr als 14 000 großen Lkw-Ladungen. Der größte Teil davon wird als Auftausalz an 350 Städte, Kommunen und Landkreise im 300-Kilometer-Umkreis verkauft. Bis dahin lagert das Salz in dem unterirdischen Labyrinth.

Seit 35 Jahren ohne Tageslicht
Am Steuer des Besucherfahrzeugs sitzt der Gesamtbetriebsführer des Salzabbaus, Michael Schulz (56) - mit seinem Schnurrbart, Helm und Mantel ein Bergmann wie aus dem Bilderbuch. Er kennt jede Wegbiegung im Labyrinth. Schulz arbeitet seit 35 Jahren ohne Tageslicht, seit 20 Jahren in Stetten, seinem sechsten Bergwerk. "Ist 'ne Welt für sich da unten", sagt er. "Jeder muss sich auf den anderen verlassen können."

Das unterirdische Wegenetz gleicht nebeneinanderliegenden Fischskeletten: Entlang einer breiten Fahrstraße haben die Bergarbeiter rechts und links Kammern in das Salz gesprengt. Aneinandergereiht wären sie 200 Kilometer lang. Die schmutzig-weißen Wände aus Salz leuchten wie Schnee in einer klaren Winternacht. Salzstaub tanzt in den Lichtkegeln der Helmlampen und legt sich auf Haut und Lippen. Wenn die Motoren der Fahrzeuge abgeschaltet sind, wird es still. So still, als stecke Watte im Ohr.

Berg spuckt riesige Brocken Salz aus
Lange, nachdem ein Besucher die Orientierung verloren haben würde, erreicht Schulz mit seinem Fahrzeug die aktuelle Abbaustelle: Ein Arbeiter, blauer Anzug, gelber Helm und Steuerboard am Hosengürtel, dirigiert einen sieben Meter langen Bohrer, den ratternde Ketten in die Wand treiben. Die Löcher werden mit Sprengstoff gefüllt. Auf Knopfdruck spuckt der Berg riesige Brocken Salz aus, die die Arbeiter der nächsten Schicht zur unterirdischen Zerkleinerungsanlage transportieren. Walzen machen daraus körniges Streusalz. Bei Bedarf wird es über ein Förderband aus der Tiefe in ein Silo transportiert und rieselt schließlich in die Anhänger der Abnehmer.

Einsatz von Streusalz ist hochumstritten
Der Einsatz von Streusalz ist hochumstritten. Viele Kommunen haben Privatleuten das Streuen damit verboten - Stuttgart erlaubt es zum Beispiel nur bei Eisregen. Straßenmeistereien benutzen aber nach wie vor Salz. Die Dezernatsleiterin für Umweltschutz und Verkehr beim Städtetag Baden-Württemberg, Susanne Nusser: "Die Städte haben die Pflicht, die Straßen verkehrssicher zu halten, das geht ohne Salzeinsatz häufig nicht." Sie geht aber davon aus, dass die Kommunen nur so viel Salz wie nötig ausstreuen. "Das ist ja auch eine Kostenfrage."

Moderne Streufahrzeuge dosierten das Salz genauer und verteilten damit weniger als früher, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Betriebshofleiter beim Städtetag, Martin Weißer. Der Salzabverkauf des Werks unter der Alb bleibe trotzdem stabil - möglicherweise, weil das Straßennetz immer größer werde, erklärt Salzbergwerksleiter Joppen.

Natur ächzt unter Streusalz
Die Natur ächzt unter dem ausgestreuten Salz. Es verändere den Nährstoffgehalt im Boden, warnt die Sprecherin des Naturschutzbunds (Nabu), Anke Beisswänger. Dadurch könnten Bäume im Frühling verdursten. "Bei Eisregen und Blitzeis geht's nicht anders", räumt Beisswänger ein und rät Privatleuten zu Sand statt Salz beim Winterdienst - Streumaterial, das vom sparsamen schwäbischen Hausherrn danach sogar zur Zweitverwertung wieder zusammengekehrt werden könne.

Einlagerung von mineralischen Abfällen
Aus Haigerloch kommt noch eine Weile Nachschub für die Salzlager der Städte. "Ein paar Jahrzehnte können wir hier noch abbauen", sagt Joppen. Aber selbst danach wird das Bergwerk noch Geld abwerfen. Um Atommüll einzulagern, liegt das Bergwerk zwar nicht tief genug, aber schon jetzt werden in den leeren Kammern mineralische Abfälle eingelagert: kontaminierte Erde, Asche, Filterstäube und Rückstände aus chemischer Produktion wie siliziumhaltige Schlacken.

Der Geruch in den Gängen erinnert an ein Dampfbad, scharf, aber nicht unangenehm. "Wie in der Waschküche", beschreibt es Bergmann Schulz. Das liege an zum Teil ammoniakhaltigen Abfällen. Die Lagerstätte sei wasserundurchlässig, heißt es von Wacker. Die Abdichtung habe sich über 250 Millionen Jahre bewährt.

Auf dem Weg zurück an die Oberfläche leuchtet Licht am Ende des Tunnels. Wie ein Scherenschnitt stehen die gekreuzten Bergmannshämmer am Eisentor. Oben brennen die Augen. Vom Licht. Vom Salz.

dpa

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