Lawinentote trotz aller Warnungen: Wie gehen wir mit der Wissenschaft um?
Die Lawinengefahr ist groß, tagelang wird gewarnt. Viele Menschen hält das nicht davon ab, abseits der Pisten unterwegs zu sein. Ein Kommentar von wetter.com-Meteorologe Georg Haas.
Die gefährliche Kombination aus starkem Schneefall und Sturm lässt im Hochgebirge bei Lawinenexpert:innen alle Alarmglocken klingeln, so wie auch kürzlich an den ersten Februartagen 2022.
Über ein Meter Neuschnee in wenigen Tagen
Im Nord- und Weststau der Alpen fiel, wie von unserem Meteorolog:innen-Team bei wetter.com vielfach angekündigt, in nur wenigen Tagen über ein Meter Neuschnee, der von den ebenfalls korrekt vorhergesagten Orkanböen massiv verweht wurde.
Ein Beitrag, in dem im Vorfeld gewarnt wurde:
Vorsicht, Schneesturm! Ein Meter Neuschnee durch Blizzard
Lawinenabgänge unvermeidbar
Aus wissenschaftlicher Sicht ist unstrittig, dass Lawinenabgänge nach so einem Schneesturm unvermeidbar sind, denn die Physik, die hinter dem Abrutschen von Schneemassen steht, ist ausreichend verstanden. Dementsprechend wurden auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und lokaler Erfahrung präzise Warnungen ausgegeben. Auf wetter.com haben wir vor und während des Extremwetterereignisses vielfach vor der tödlichen Gefahr gewarnt.
Dem Schneesturm folgte ein sonniges Wochenende. Die im Sonnenschein glitzernde Tiefschneedecke mit prächtiger Alpenkulisse ist verführerisch, wie der Apfel bei Adam und Eva im Paradies.
Sieben Lawinentote an einem Tag in Tirol
Da ist es natürlich verlockend auf Skiern die ersten Spuren durch den unberührten Pulverschnee zu ziehen und das Gefühl von Freiheit zu genießen. Viele Tourengeher:innen wollten der gefährlichen Versuchung nicht widerstehen und somit wurde aus dem sonnigen Wochenende leider schnell ein dramatisches, an dem mehr als zehn Menschen in alpinen Schneelawinen ums Leben kamen, davon allein sieben an einem Tag in Tirol. Selbst staatlich geprüfte Bergführer:innen konnten dem Neuschnee nicht widerstehen. Auch trotz moderner Lawinenausrüstung kam für einige jede Hilfe zu spät.
Die Details zu einigen Unglücken kannst du hier nachlesen
Wieso wird nicht auf Warnungen gehört?
Diese Todesfälle haben uns in der Redaktion sehr betroffen gemacht und wir haben uns gefragt wieso wurden die Warnungen der Expert:innen ignoriert? Wieso hören so viele Menschen nicht auf die Wissenschaft und begeben sich fährlässig in eine lebensbedrohliche Situation und nehmen zudem in Kauf, dass andere Menschen, wie Rettungsteams, in Lebensgefahr geraten?
Das Hören auf die Wissenschaft würde nicht nur im Hochgebirge Unheil verhindern. Fachleute, wie Virolog:innen und Ärzt:innen auf Intensivstationen, beklagen angesichts zu geringer Impfbereitschaft unnötig viele Krankheits- und Todesfälle mit Blick auf mittlerweile solide wissenschaftliche Erkenntnisse, gestützt von eindeutigen Statistiken.
Lässt sich auch beim Klimawandel beobachten
Und wie gehen wir mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich des Klimawandels um? Die Klimawissenschaft steht mit detailliertem Verständnis der Naturgesetze auf solidem Fundament und übermittelt seit Jahrzehnten die Botschaft, dass wir das Verbrennen von fossilen Energieträgern (Kohle, Öl, Erdgas) global schnellstmöglich einstellen müssen. Sonst würden wir nachfolgenden Generationen katastrophale Verhältnisse auf unserem Planeten aufbürden.
Wir sind die ersten Zeitzeugen des menschengemachten Klimawandels, der zur schrecklichen Klimakatastrophe mutieren wird, wenn wir den Weg der Vernunft, den die Wissenschaft beleuchtet, verlassen. Dass die Wissenschaft ein zuverlässiger Wegweiser ist, führt uns die Natur mit dem zunehmenden Extremwetter der letzten Jahre vor, man denke nur an die immer heftigeren Hitzewellen oder die Todesflut 2021 im Ahrtal.
Bitte seid vernünftig
Um Katastrophen und menschliches Leid zu verhindern, ist es vernünftig auf die Wissenschaft zu hören. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass mehr Menschen auf Warnungen und Einschätzungen von uns Meteorolog:innen hören und diese ernst genommen werden. Immerhin haben wir nicht umsonst Meteorologie studiert. Wir setzen uns täglich mit dem Wetter und dessen Folgen auseinander und teilen unser Wissen.
Zwar gibt es immer mal ein paar Details, bei denen wir uns auch nicht ganz einig sind, aber was die Lawinengefahr betrifft, waren sich alle einig. Ich hoffe künftig, dass die Einschätzungen durch Expert:innen ernst genommen werden und sich ausreichend informiert wird, was mögliche Wettergefahren angeht.
Dieses Wochenende herrscht erneut Lawinengefahr. Besonders bei dem angekündigten Traumwetter mit viel Sonne wird die Verlockung groß sein, den glitzernden Pulverschnee zu durchbrettern. Aber genießt die Sonne und den Schnee nur auf markierten Wegen und Pisten und passt gut auf euch auf. So könnten in Zukunft mit Sicherheit einige Unglücksfälle verhindert werden und der Winterspaß ist trotzdem garantiert.
Tipps für den Ernstfall: So verhältst du dich bei einer Lawine richtig
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