Wohin geht die Wetterreise?

Die kommenden Wochen werden interessant... Aber wo geht die Wetterreise hin? Kai Zorn klärt in seinem neuen Blog auf!

Veröffentlicht: Mi 12.10.2016 | 00:00 Uhr
Wohin geht die Wetterreise?

Jede Jahreszeit hat so ihre "Tücken". Mit diesen Tücken meine ich die Synoptik, also die klassische Wettervorhersage abseits der Computer- bzw. Modellberechnungen. Wir kennen das beispielsweise aus dem Sommer mit den Gewittern. Da heißt es im Wetterbericht: "Zunächst scheint die Sonne. Im Laufe des Tages bilden sich Quellwolken und aus denen entstehen einzelne Wärmegewitter." Der eine Ort bekommt bei einer beständigen Großwetterlage möglicherweise jeden Tag ein Gewitter ab und der Gesamteindruck an diesem Ort ist eben "unschön" und ein paar Ortschaften weiter bleibt es über viele Tage trocken. Und schon ist der Wetterbericht "falsch“.

Ein ähnliches Phänomen hat der Herbst auf Lager: Am Montagvormittag erlebte ich Nebel, Hochnebel und Wolken zusammen mit Sonnenschein. Und es fing an zu regnen. Das Thema Nebel, Hochnebel, Wolken oder Sonnenschein wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen - doch damit nicht genug: Nach der recht langen Phase mit unterkühlten Luftmassen gibt es über unseren Köpfen einen rasanten Temperaturanstieg: Die Temperaturen klettern in 1500 Meter Höhe zwischen 7 und 17 (!!!) Grad; 7 Grad sind es an der Waterkant, 17 Grad im Alpenvorland.

Milchmädchenrechnenderweise könnten wir jetzt sagen: Hurrah, es wird 7 bis 17 Grad wärmer. Ja, teilweise auf den Bergen, denn: Erstens konnte sich die kühlere Luftmasse noch überhaupt nicht richtig durchsetzen - beispielsweise durch Auskühlung in sternklaren Nächten bei Windstille. Zweitens wird sich die Wärme auch nicht überall und vor allem nicht komplett durchsetzen können.

In den kommenden Tagen dreht die Höhenströmung auf Süd. Trocken-warme Mittelmeerluft streicht über die Alpen nach Deutschland und gleitet auf die feucht-kühle Bodenschicht auf. Unten hingegen kommt der Ostwind wieder in Schwung. Es entsteht eine regelrechte "Ost-Düse", die vor allem nördlich und östlich der Mittelgebirge die feuchte und vor allem kühle Luft weiter ansaugt. Nach Südwesten zu haben wir deutlich weniger Wind, teilweise sogar Windstille, aber keinen Südwind und damit keine richtige "Durchmischung“ in tiefen Lagen. Und diese Durchmischung bräuchten wir, damit sich die trocken-warme Luft bis unten durchsetzen kann - zumindest flächendeckend. Im Bergland wird sich hingegen kurz eine kräftige Südströmung durchsetzen. Vom jüngsten Winterintermezzo geht es hier schnurstracks hin zu Sonne und Wärme.

Die kräftige Südströmung in der Höhe und Ostströmung am Boden geht schon am Wochenende rasch wieder zur Neige. Ein kleines Ablegertief zieht über den Süden. Es bringt abseits von Nebel und Hochnebel kompakte Wolkenfelder und ein paar meist leichte Regenfälle. Durch dieses Tief wird die Luft etwas stärker durchmischt und es wird allgemein milder. Nur im Nordosten rappelt der Ostwind und es bleibt sehr kühl. Die reine Modell-Interpretation lautet momentan: 7 Grad im Nordosten mit Wolken und kaltem Wind und bis zu 20 Grad im Südwesten mit immer mehr Sonne.

In der neuen Woche könnte sich mal für ein paar Tage etwas tun in der Wetterküche. Der Hoch-Beton-Block PETER weicht auf und ein Tief schafft den Weg über die Britischen Inseln nach Mitteleuropa. Nach einer kurzen Vorderseite mit milderer Luft und dem Ende des Ostwindes kommen Wolken mit ein paar Regenfällen. Der Wind dreht auf westliche Richtungen. Tagsüber ist es dann deutlich milder als bisher, nachts sowieso. Hoch PETER zieht sich zwischenzeitlich nach Russland zurück und verliert seinen Einfluss auf unser Wetter.

Und nun passiert etwas Interessantes: Statt dass sich eine Art Westlage etabliert, bei der der Atlantik wieder was zu melden hat, wird das Tief zermalmt und ein neues Riesenhoch baut sich auf. Es wächst mehr oder weniger aus dem Azorenhoch und dem Kontinentalhoch über Russland zusammen und bilden abermals einen Kern über Nordeuropa - Stichwort "Erhaltungsneigung von Großwetterlagen". Damit geht wieder alles zurück auf Anfang: Wieder Ostwind, wieder kühlere Luft, wieder häufig Wolken, Nebel und/oder Hochnebel.

Auf der einen Seite kennen wir das aus vergangenen Jahren mit dem Hochdruck, auf der anderen Seite ist eine derart starke und ausgeprägte Hochdrucklage schon ungewöhnlich. Immerhin reicht der Hochdruck von Europa bis Asien. Wir hatten so etwas mal, zeitlich jedoch einige Wochen früher, im September 2008. Seinerzeit reichte das Hoch vom Atlantik über Europa und Russland bis nach China.

Diese totale Zirkulationsumkehr ist damit wohl ein Relikt des Klimawandels: In der Arktis ist es für diese Jahreszeit viel zu warm. Statt großer Kälte, die hier den so genannten Polarwirbel anfacht und die Westwindzirkulation ermöglicht, lungert hier - im Verhältnis gesehen - nur "feucht-kühle Luft" herum. Die Kontinente außen rum kühlen hingegen viel schneller aus und nach Schneefällen bilden sich hier so genannte Kaltluftkörper. Nun gibt es also keine strukturierte Ansammlung mehr am Nordpol mit der kältesten Luftmasse, sondern verschiedene Gebiete mit verhältnismäßig kalten Luftmassen.

Interessant ist oder wird, was die Zukunft bringt. Wird mit der Ausbreitung der Polarnacht und mit der Auskühlung der Arktis genug Kälte produziert, so dass sich der Polarwirbel erholt und ist die momentane Zerfledderung der Kaltluft nur ein Intermezzo oder bleibt das so? Wir stehen da vor recht interessanten Wochen und Monaten - zumal uns die Erfahrung fehlt. Damit sind wiederum "alte Regeln" nicht anwendbar, da sich durch die neue Situation auch neue Auswirkungen ergeben.

Fakt ist, dass die Zirkulation momentan Kopf steht und die Westwindzirkulation mehr oder weniger im Eimer ist. Und nach den aktuellen Modellberechnungen bleibt diese Zirkulation auch im Eimer.

Schaut man auf die aktuell gemittelte Wetterlage der Nordhemisphäre für Ende Oktober, so haben wir ein Hoch, das von Grönland über den Nordpol bis Westsibirien reicht, dann macht das Hoch einen Knick nach Westen und verläuft über Europa bis auf den Atlantik. Nennenswerten Tiefdruck haben dann in erster Linie von Asien bis Westkanada und ein kleines Tief an der Ostküste Kanadas. Dazu gibt es zwei Gebiete mit den kältesten Luftmassen; einmal von Nordgrönland bis Nordkanada und einmal über Sibirien.

Es gibt jedoch eine kleine "Feinheit" auf der Nordhemisphären-Karte: Das Hoch, das von Sibirien bis zum Atlantik reicht, hat eine "Bruchstelle". Diese verläuft genau über das zentrale Europa. Da diese Karten für die Zeit um den 25. Oktober gelten, schließt sich hier der Kreis des schon in diversen Videos Besprochenem: Da sich keine wirkliche Westlage einstellen will und wohl auch (vorerst) nicht wird, kann es - bei solchen Wetterlagen typisch - zu einer so genannten retrograden Verlagerung kommen. Das heißt einfach, dass das Skandinavien-Hoch mit seinem Kern nach Westen auf den Atlantik zieht und den Weg für Polarluft freimachen kann. Auch in den Ausschnitten der Wetterkarten für Europa ist das momentan erkennbar.

Die 15 Tage-Trends zeigen entsprechende Signale. Je nach Modell-Lauf, der alle 6 Stunden neu berechnet wird, sind es mal 30, mal bis zu 50 Prozent.

Vorausgesetzt es gibt keinen eklatanten Bruch in der momentanen Großwetterlage und die Verteilung von Hochs und Tiefs sowie deren Stärken und Schwächen bleibt in den kommenden Wochen gleich, müssen wir uns das in etwa so vorstellen: Die Hochs sind eine Folie, die ein bisschen durchhängt und dennoch jeder Menge Druck (Kaltluft) standhalten kann. Nun nimmt über die Wochen der Druck zu. Die Folie (also die Hochs) haben über Zentraleuropa eine kleine Schwachstelle. Irgendwann wird der Druck zu groß und die Folie reißt. Folglich fließt die Kälte an dieser Stelle nach unten und es käme zu einem ersten Wintereinbruch, zumindest bis ins höhere Flachland. Das ist das, was wir in den Videos für Ende Oktober besprochen hatten.

Hält die Großwetterlage weiter, so spannt sich die Folie im Anschluss erneut. Endet die Großwetterlage, könnte ein solcher Vorstoß die Karten neu mischen.

Das NOAA-Modell sieht nach wie vor einen supermilden Winter. Auch sämtliche Statistiken und Regeln deuten auf einen milden bis sehr milden Winter hin. Darüber hatten wir ausführlich gesprochen. Die momentane Entwicklung der Großwetterlagen hat jedoch weiter verblüffende Ähnlichkeiten mit 1946 UND, was den Oktober-Hochdruck betrifft, mit 1962. (1946/47 und 1962/63 waren zwei extrem eisige Winter, der letztere der kälteste Winter des vergangenen Jahrhunderts und der zweitkälteste seit 1761.)

Noch ein Aber: Vor dem wärmsten Winter seit 1761, nach einem extrem warmen September, gleichauf mit 2016, gab es eine ähnliche Hoch Nordeuropa-Lage bis Mitte des Monats. Allerdings war damals etwas mehr Tiefdruck außen rum. Nach Monatsmitte endete der Hochdruck und es begann eine wackelnde Westlage, die einen ersten kleinen Wintereinbruch Anfang November 2006 brachte, ehe ein sehr munterer Atlantik mit einem satten Tief eine kräftige Südwest- bis Südströmung bei uns auslöste, die über den Winter hinaus anhalten sollte...

Meiner Meinung nach sind die kommenden Wochen sehr wichtig. Wenn wir weiterhin in diesem Modus und Hochdruck-Duktus bleiben, wird die Basis für die Ausnahme der Regel gebastelt, nämlich ein deutlich kälterer Winter als angenommen bzw. berechnet.

Egal, ob wir in die alten Strengwinter des früheren Klimamittels schauen oder in die etwas kälteren Winter der Neuzeit. Sie alle teilten sich die "gestörte Zirkulation". Solange der Atlantik mit Hilfe seines Golfstroms nicht anspringt und solange der Polarwirbel mit seinen Kaltluftausflüssen westlichen von Grönland kein großes Tief anfacht, kommen wir aus der Dümpellage nicht heraus.

Und die Dümpellage ist eine der Lieblingslagen kalter bzw. strenger Winter...

Kommen wir aus dem Reich früherer Großwetterlagen und Spekulationen zurück ins Hier und Jetzt: Modellübergreifend ist keine nachhaltige Wetter- und Witterungsänderung in Sicht - auch wenn es mal ein paar Tage wärmer bzw. milder wird.

Der Buckel im Süden in den 15 Tage-Trends ist sehr markant. Im Anschluss gibt es eine leicht abwärtsgehende Seitwärtsbewegung. Die Ausreißer nach oben und nach unten halten sich in Grenzen und entspringen einer ähnlichen Großwetterlage. Hinter den Kulissen der 15 Tage-Trends sind ebenfalls keine markanten Änderungen erkennbar - weder ein Durchgreifen des Atlantiks noch der Absturz in frühwinterliches Wetter. Das ist alles ziemlich zahn- und für Freunde von wechselhaftem Wetter aussichtslos...

Normalerweise wäre die Kolumne jetzt zu Ende ;). Aber angesichts der aktuellen Nominierung von wetter.com für die "Beliebteste Website" bitte ich Sie kurz hierher zum Voten. Denken Sie dran: Es sind nicht nur viele Wetterdaten, die diese Seite füllt. Dahinter stecken auch Menschen wie du und ich, die oft mit sehr viel Herzblut daran basteln. Danke :).  

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