Eisschwimmen: Zu starke Belastung für den Körper?
Eisschwimmen wird immer beliebter, bedeutet aber richtigen Stress für unseren Körper. Denn eiskaltes Wasser bringt ihn an die Grenzen. Und genau das ist für viele der Reiz. Doch lohnt sich das Risiko?
Wer im Eiswasser schwimmt, wird merken: Nach ungefähr 10 Sekunden kommen Schmerzen, die immer stärker werden. Die Kälte bohrt sich regelrecht in die Haut und der Körper schaltet auf Überlebenskampf.
Eisschwimmen ist ein Extremsport und nach Ansicht der praktizierenden Sportler:innen keinesfalls zu verwechseln mit Eisbaden, bei dem sich Leute meist aus gesundheitlichen Gründen für kurze Zeit ins eiskalte Wasser wagen. Dass es beim Schwimmen in unter fünf Grad kalten Wasser wirklich um eine besondere Sportart geht, beweist spätestens die Weltmeisterschaft im Eisschwimmen, die dieses Jahr in Polen stattfindet.
In Russland ist Eisschwimmen übrigens gar nicht so ungewöhnlich, wie das Video an Beginn des Artikels zeigt.
Eisschwimmen als Herausforderung, die eigene Grenzen aufzeigt
Doch warum genau tun sich Menschen diese Belastung freiwillig an? "Das sind oft Menschen, die ihre Grenzen kennenlernen wollen. Und Menschen wie du und ich, die das als sportliche Herausforderung ansehen", charakterisiert Oliver Halder, Vorstandsmitglied beim Deutschen Eisschwimmverein 'Keep Frozen', die Szene.
Auf etwa 150 aktive Eisschwimmer:innen deutschlandweit komme die Szene, schätzt Halder. Für eine 1.000-Meter-Strecke durch das Eiswasser brauchen manche bis zu 30 Minuten. "Man sieht daran auch, dass der Körper viel mehr in der Lage ist durchzuhalten, als man sich vorstellen kann", so das Vorstandsmitglied weiter.
Es geht auch um den Leistungdsgedanken
Bei Tobias Wybierek, einem der Teilnehmer an der Weltmeisterschaft, geht es um den Leistungsgedanke. Er will gewinnen und seinen Körper fordern. Und laut seinem Empfinden gewöhnt sich der Körper an die Extremsituation: "Am Anfang tut es noch weh, aber wenn man mit der Saison mitgeht, geht auch der Schmerz runter", berichtet der 28-Jährige.
"Ich mag diese Macht der Kälte"
Seine Teamkollegin Julia Wittig, die die Meisterschaften schon mehrfach gewann – unter anderem 2017 – widerspricht ihm. "Ich spüre das jedes Mal. Man kommt psychisch mit der Kälte besser klar, aber dass es saumäßig weh tut, ist schon so, vor allem an den Extremitäten".
Die 42-Jährige ist eigentlich Grundschullehrerin. "Ich mag diese Macht der Kälte", erklärt sie. "Wenn die Kälte auf den Körper einwirkt, kannst du mit den Gedanken nirgendwo anders sein. Wenn du irgendwelche Probleme oder Schwierigkeiten hast, die sind alle ausgeblendet". Neben einer sauberen Technik sei die mentale Stärke entscheidend. Nach dem Eisschwimmen empfände sie Stolz und Glücksgefühle, schildert Wittig.
Doch der Sport ist sehr gefährlich
Manche Menschen reagieren nicht nur mit Taubheitsgefühlen und Schmerzen, sondern auch mit Schockstarre, Schnappatmung, Kreislaufproblemen oder gar Herzstillstand auf die Kälte. Das kann zu einem lebensbedrohlichen Kälteschock führen, weshalb Unerfahrene im Eiswasser auf keinen Fall gleich ihre Grenzen austesten sollten, warnt Hanns-Christian Gunga von der Berliner Charité.
"Wenn man das machen will, soll man sich langsam rantasten, Erfahrungen sammeln, und v.a. das mit Erfahrenen zusammen machen", so der Professor.
Und nicht nur im Wasser kann es gefährlich werden
Die Konfrontation mit Kälte sei ein gutes Training für die Gefäßmuskulatur der Haut, sollte aber v.a. bei Personen, die unter Herz-Kreislauf- oder Gefäßerkrankungen leiden, vermieden werden. Denn je länger man im Eiswasser ist, desto mehr kühlt auch der Körperkern aus. Wer dann beim Aufwärmen einen Fehler macht, wie sich direkt in die Sauna zu setzen, begibt sich in Todesgefahr.
"Beim Afterdrop läuft das warme Blut aus dem Kern mit 36 Grad wie ein Kühlapparat durch die Haut mit null Grad, wird dann auf 33, 30, 27 Grad abgekühlt, und es kommt zu Herzflimmern und Rhythmusstörungen", erläutert Gunga.
Sicherheit muss an erster Stelle stehen
Eisschwimm-Trainer Stefan Hetzer macht seinen Neulingen deshalb unmissverständlich klar: "Das ist kein Halligalli, Sicherheit ist die Nummer eins". Nach dem Eisschwimmen heißt es für Wybierek und Wittig deshalb "warmzittern" in einer Infrarotkabine. "Danach zittere ich so sehr, dass ich in keinen Pulli mehr reinkomme", erzählt Wybierek. Auch dies ein nützlicher, aber oft schmerzhafter Überlebensmechanismus des Körpers.
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