Der Sommer bleibt auf Tauchstation

An den kommenden Tagen drohen Hochwasser und Erdrutsche. Es könnte fatal werden! Und was ist mit dem Sommer? Kai Zorn blickt in seinem Blog ausführlich auf Wetterstatistiken und Wetteraussichten.

Veröffentlicht: Di 14.06.2016 | 00:00 Uhr
Der Sommer bleibt auf Tauchstation
Wenn ich mir die vergangenen 13 Jahre (2003 bis 2015) auf einer Klimaseite im Überblick ansehe, dann fällt die Farbe Gelb auf. Gelb steht für Trockenheit. Sehr trocken war das Jahr 2003. Da fielen, auf das Jahr und Deutschland gemittelt (verglichen mit den Jahren 1961-90), gerade einmal 75 Prozent des sonst üblichen Niederschlags (Regen und Schnee). Dem gegenüber steht das Jahr 2007, das mit rund 120 Prozent die Statistik der vergangenen Jahre anführt. Beide Jahre haben jedoch etwas gemeinsam: Sie waren sehr warm (2003 mit +1,1 Grad; 2007 mit +1,6 Grad).

Und noch etwas sticht heraus: Trocken- und Nass-Phasen wechseln sich wellenförmig ab - also ähnlich wie die Temperaturen. Wir sprachen schon mehrfach darüber, dass es so genannte Warm- und Kaltphasen gibt, die über einen Zeitraum von 1,5 bis 3,5 Jahre gehen - wobei bei unseren heutigen Klima die Warmphasen länger und ausgeprägter sind als die Kaltphasen.

Und nachdem wir 2014 und 2015 ausgesprochene Wärmejahre hatten mit einer teilweise massiven Trockenheit, kommt nun die Gegenbewegung: Es ist und wird nass und auch "weniger warm".

Von Kälte noch meilenweit entfernt
Weniger warm setze ich deshalb in Anführungszeichen, denn von einer wirklichen "Kühle" oder gar "Kälte" sind wir noch meilenweit entfernt. Stellen Sie sich mal vor: Es gab von 1977 bis 1981 fünf Sommer in Folge (also alle drei Sommermonate mal 5), die für unser heutiges Klima absolut indiskutable Durchschnittswerte von 15,1 bis 16,0 Grad hatten; zum Vergleich: Der Super-Sommer 2003 hatte 19,67 Grad, der vergangene Sommer (2015) 18,4 Grad. So etwas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

Aber: Das ist auch das große Problem des Regens: Je höher die Temperaturen, desto mehr Wasser ist in der Atmosphäre. So war der Sommer 2002 beispielsweise sehr warm mit 18,0 Grad, brachte dafür jedoch die großen Fluten...

Schweiz im Wetter-Dilemma
Natürlich ist die momentane Witterung, sehen wir mal von den ganzen Unwettern und lokalen Flutkatastrophen ab, ein Schocker nach so vielen Phasen mit Sonne und Trockenheit aus den vergangenen Jahren. 

Ganz übel sind Teile der Schweiz dran. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (Ende des 19. Jahrhunderts) könnte es hier die trübste und nasseste erste Jahreshälfte überhaupt werden.

Sommerauftakt im Süden eine große Pleite
Fassen wir bis hier zusammen: Der Sommereinstieg 2016 war vor allem im Süden Deutschlands eine große Pleite. Im Norden schaut es anders aus. Hier ist es noch teils deutlich zu warm, zu trocken und im Nordosten ist das Sonnenscheinsoll leicht im Plus. Während Vorpommern fast 60 Prozent des Sonnenscheinsolls eines Junis erreicht hat, hinkt der gesamte Süden mit unter 30 Prozent hinterher. Die Zugspitze meldet gerade einmal 19 Prozent des üblichen Solls. Da kann man nicht einmal mehr mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen - es (das Gebirge) steckt ständig in Wolken...

Kommen wir zurück zur Witterung, die derzeit wohl nur Regen, Regen und nochmals Regen bringt. Jegliche Hoffnung in den Aussichten wird platt gebügelt und es kommt, wie erwähnt, Regen, Regen und nochmals Regen. Selbst die Wärmebuckel in den 15-Tage-Trends sind aktuell wieder verschwunden und die Hochsommerhoffnungen nach Beginn des kalendarischen Sommers wurden im mitteleuropäischen Tiefsumpf begraben.

Heftige Regensummen vorausgesagt
Apropos Tiefsumpf: Die Niederschlagssummen der kommenden 10 Tage lassen einem teilweise angst und bange werden. Die "moderateren" Berechnungen sehen in Deutschland verbreitet 30 bis 80, im Alpenraum um die 200 Liter Regen pro Quadratmeter. Die "nicht so moderaten" Berechnungen - dazu gehörte der Abendlauf des amerikanischen GFS-Modells von Montag - zeigen bis über 400 Liter Regen auf den Quadratmeter zwischen Tirol und Oberösterreich.

Aktuell werden "nur" zwischen 250 und 350 Liter zwischen der Ostschweiz und Salzburg/Oberkärnten berechnet, der deutsche Alpenrand mit eingeschlossen. Dafür sind die Regensummen im Flachland teils massiv hoch gesetzt worden: Satte 80 bis 150 Liter Regen werden momentan für die gesamte Mitte und den Mittelgebirgsraum berechnet. 

Massive Gefahr von Überschwemmungen
Solche Summen sind mal verkraftbar, wenn es vorher wenig geregnet hat. Angesichts der teilweise triefnassen Böden könnte das brenzlig werden, vor allem in der Fläche. Dank der recht kühlen Witterung in der nächsten Zeit wird ein nicht unerheblicher Wasseranteil in den Hochlagen der Alpen als Schnee gebunden. Wäre es einige Grade wärmer, wie im August 2005, so sähe das ganz, ganz düster aus...  

Fassen wir hier wassertechnisch zusammen: Die kommenden 7 bis 10 Tage besteht Hochwassergefahr. Dieses Mal weniger durch lokale Starkregenereignisse aufgrund unwetterartiger Gewitter, die an Ort und Stelle ihr Unwesen treiben, sondern mehr durch großflächige Regenfälle - unter anderem hervorgerufen durch sogenannte Vb-Wetterlagen oder Vb-ähnliche Lagen

Gefahr von Erdrutschen und Hangrutschen steigt
Ein kleiner "Vorteil" könnte die Verteilung über mehrere Schübe innerhalb der kommenden 10 Tage sein. Wenn es EIN Ereignis wäre, wäre das wesentlich fataler. Dafür birgt es ganz andere Gefahren neben Hochwasser. Bergiges Gelände, also Mittelgebirge und vor allem Alpen, werden zunehmend gefährlich durch mögliche Erd- und Hangrutsche. 

Während des großen Hochwassers 2005 sind ganze Berghänge weggerutscht. Außerdem wird es definitiv in der nächsten Zeit Murenabgänge geben. 

Öl wird ins Feuer gegossen
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf die aktuelle Wetterlage und deren Entwicklung. Wie am Montag schon in meiner Video-Kolumne gesagt, befinden wir uns zwischen großen Hochdruckgebieten; zum einen ist da das steuernde und sehr ausgeprägte Azorenhoch auf dem Atlantik. Das liegt hier wie festgetackert und leicht nach Norden verschoben. Auf der anderen Seite haben wir hohen Druck über Osteuropa. Das südliche Nordeuropa sowie West- und Mitteleuropa versumpfen im Tiefdruck. Dieser Tiefdruck-Sumpf kann nicht weg, weder nach Westen noch nach Osten. Er bleibt also an Ort und Stelle liegen. 

Da über den Westteil des Tiefs feucht-kühle Luft nach Süden gelenkt wird und auf der Ostseite feucht-warme Luft aus dem Mittelmeerraum nach Norden, wird dieses Tief erstens angefacht und zweitens mit jeder Menge Feuchtigkeit versorgt - kurzum: Es wird Öl ins Feuer gegossen. 

Mittel- und langfristig ändert sich die Hoch-Verteilung über Europa langsam. Das Azorenhoch ist stark wie selten und liegt bei den Azoren. Das Hoch über dem Kontinent verlagert sich mit seinem Kern tendenziell Richtung Ostskandinavien und Baltikum. Als Gegenspieler liegt das klassische Islandtief an seiner Position - so zumindest die gemittelte Wetterlage. 

Dauerhaftes Hoch über Deutschland nicht in Sicht
Wenn wir jetzt die Hauptdruckgebilde Azorenhoch, Islandtief und Baltikum- bzw. Skandinavienhoch ein wenig verschieben, so ziehen wir mehr oder weniger immer wieder die "Gesäß-Karte". In so gut wie keinem Falle der Modelle legt sich der Kern eines Hochs genau über uns. Wir liegen immer am Rand; entweder am Rande des Azorenhochs (Strömung eher West- bis Nordwest) oder am Rande des Skandi-Hochs (Strömung eher Nordost bis Ost). In jedem Falle mischt also Feuchtigkeit mit und die Grundwitterung bleibt (leicht) unbeständig. 

Und auch die Temperaturen bleiben durch die Bank moderat. Es gibt derzeit nur wenige Modell-Berechnungen, die weit überdurchschnittliche Temperaturen sehen. 

Azorenhoch bringt stets unbeständiges Wetter
Sprechen wir zu guter Letzt kurz über das Azorenhoch und das Ammenmärchen, dass das Azorenhoch für "schönes Wetter" verantwortlich ist. Auf der Nordhalbkugel fließt die Luft um ein Hoch im Uhrzeigersinn. Damit gelangt durch das Azorenhoch die Luft vom Atlantik zu uns nach Europa. Sie kann dadurch also niemals trocken und warm oder heiß sein, sondern eher feucht und höchstens mäßig-warm. Erst der Ableger eines Azorenhochs, das so genannte Kalben, mit einem eigenständigen Hoch über Mitteleuropa kann Sonne und Wärme bringen.

Das Azorenhoch ist der nördliche Teil des Subtropenhochs. Und dieses Subtropenhoch lag in den vergangenen Jahren im Winter oft südlich von uns oder bei uns und im vergangenen Sommer sogar nördlich von uns mit einer Omega-Lage. Erst solche Wetterlagen können weit überdurchschnittliche Temperaturen zu jeder Jahreszeit bringen und solch trockene Hitzesommer wie 2015.

Spekulative Wetterausblicke
In den kommenden Tagen wollen wir mal einen spekulativen Blick auf den Sommer 2016 (Juli und August) in Sachen Wetterlagen wagen. Im Mai hatte ich für wetter.com Ivo Brück zu Gast. Ivo hat ordnerweise Wetterlagen und 5-Tages-Zeiträume verschiedener Wetterstationen bis ins 19. Jahrhundert analysiert und statistische Zusammenhänge gefunden. Dabei sind verblüffende Wahrscheinlichkeiten herausgekommen. Wahrscheinlichkeiten über diesen Sommer, den Herbst und den kommenden Winter. Man möge daran glauben oder nicht - interessant ist es allemal. 

Mein persönliches Highlight ist jedoch seine Aussage über die Sommer 2016 bis 2020: 2016 und 2017 eher "bescheiden", 2018 und 2019 top und 2020 dann wieder eher nicht so gut. Persönlich liebe ich das Analysieren von Langfristgeschichten, Großwetterlagen und Warm- und Kaltzyklen, doch das fordert mich auch ein wenig heraus. Nehmen Sie es, wie ich: mit Humor. 

Es gibt freilich immer Leute, die behaupten, Wetter könne man höchstens für 3 Tage voraussehen. Diese Aussage hat so viel Sinn wie die Metapher "Die Erde ist eine Scheibe". Wetter ist viel mehr als ein bisschen Mathematik und Physik. Wetter ist etwas Lebendiges, das sich mal für lange Zeit im Voraus in die Karten sehen lässt und manchmal sogar für die kommenden Stunden im Dunklen tappen lässt. Wetter ist immer spannend. Wetter ist weder gut noch schlecht. Wetter ist. Und so, wie es beim Wetter eine möglichst präzise Wettervorhersage für die nächsten Tage gibt, so darf auch die Spekulation über Jahreszeiten erlaubt sein!
Zur Blog-Übersicht Kais Kolumne
Dieser externe Inhalt steht leider nicht zur Verfügung, da er nicht kompatible Elemente (z. B. Tracking oder Werbung) zum ContentPass-Abo enthält.
Nach oben scrollen